Den Niedernhall-Marathon wollte ich schon im Vorjahr machen. Eine frische OP-Narbe verhinderte das, ich bekam sogar mein Startgeld zurück. Erfahrungsgemäß bereut man das am meisten, was man NICHT gemacht hat. Also ist er heuer fällig. Von OÖ aus gesehen liegt Niedernhall im Kochertal nicht übermäßig günstig. An die 5 Stunden Fahrzeit mit dem Auto muss man im Idealfall rechnen.
Einen Großteil der Strecke kenne ich schon vom Mai, von der Anreise zum Trollinger Marathon in/um Heilbronn. Auch eine Starterin von damals ist diesmal wieder am Start, die Ultra-Judit aus Lauda. Wir sind hier im NO von BaWü, schöne Fachwerkhäuser kennzeichnen die Ortschaften hier, und etwas außerhalb davon viele großflächige Firmenhallen mit Flachdach.
Als ich Samstag Nachmittag ankomme, ist es brütend heiß auf der Festwiese. Es gibt Süßes und Saures, was zu trinken und Trampolinspringen. Aber sogar unter den Sonnenschirmen ist es kaum auszuhalten. Ich beneide die Teilnehmer am 5km-Lauf der um 15h15 gestartet wird nicht. Die Pasta-Party um 18h schwänze ich. Morgen früh wird es kühler sein.
Am Sonntag bin ich schon 2 Stunden vor dem Start am Gelände, daher kriege ich auch den besten Parkplatz. Einige der 117 angemeldeten Marathonis kenne ich schon. Die Fenders, den Ulli Tomaschewski, zuletzt beim 10in10 in Bad Blumau, und natürlich Österreichs ewiger Rekordmarathoni Gerhard Wally mit bald 724 Marathons in den schlanken Beinen. Damit Mutti und Papa mitlaufen können, gibt es für die Kinder sogar eine professionelle Betreuung.
Trotz der geringen Starterzahl tummeln sich viele Leute im Startbereich. Die anderen Bewerbe werden deutlich später gestartet werden. Marathonis zuerst!
Der Marathon
Der GF vom hiesigen Hauptsponsor, ebm-Papst, gibt ein Interview. Er wird auch in einem Bewerb mitlaufen. Dann spielt die Blasmusik, um 08h32 geht es los. Wir laufen rein in den malerischen Ort, Stadtmauer aus dem 14. Jhdt., und sind unter heftigen Anfeuerungsrufen nach 1,5km wieder bei Start und Ziel. Am Kochertal-Radweg geht es flussaufwärts hinaus. Dieser Radweg liegt jetzt viel im Schatten und da wo nicht, ist es trotzdem noch kühl. Immer, wenn es über den niedrigen Hochwasserdamm geht, sind ein paar Höhenmeter zu bewältigen. Den 4h30-Schrittmacher habe ich gut im Blick, trotz Sonne von vorne.
Erster VP nach 4km in Ingelfingen. Dieser Versorgungsposten ist nicht zu überhören, denn eine Formation aus Jagdhornbläsern macht da auf sich aufmerksam. Etwa 10 Herren und zwei Damen, wenn ich mich nicht irre, alle tragen ein weißes Hemd.
Wir überqueren den Kocher, dessen Wasser ist unterwegs Richtung Neckar. An Gärten und größeren Firmengebäuden vorbei verlassen wir bei km6 den Fluss. 37min bis hierher.
Die Polizei hält den Verkehr auf, wir müssen über die Straße und dann steigt es an. Erst ganz moderat, schön im Schatten und ich stelle fest, mein Berglauf-Training hat sich gelohnt. Ich komme zügig voran. Ab km7 wird es richtig steil. Ich fühle mich großartig und komme sogar an Judit heran. Die Labe bei km8 wartet mit der Guggenmusik aus Boxberg auf. Etwa 25 Leute, v.a. in schwarz mit Blasinstrumenten und vielen Trommeln. Der Anstieg ist noch nicht zu Ende. Bei km9 sind wir schon ziemlich weit oben, der Ausblick ist jedenfalls schon nicht schlecht, erinnert mich ans Moseltal.
Links unter uns der Fluss und Ingelfingen, vor uns, links und rechts von uns Weinberge mit schon recht reifen Trauben. Die Sonne haben wir nun im Rücken.
Ein riesiges Fass bei km11, Labe, da sind die Jagdhornbläser wieder. Die dürften eine Abkürzung kennen. Einige km lang bleiben wir hoch über dem Tal, immer wieder geht es rauf und runter, abschnittsweise richtig steil. Unüblich früh nehme ich mein erstes PowerGel. Ab km13, oberhalb von Criesbach, hört man schon den Sprecher vom Start-/Zielgelände. Die Akustik ist hervorragend. Mittlerweile ist es schon richtig warm geworden. Und dann sieht man auch schon Niedernhall von oben.
Es geht runter, runter, immer weiter runter. Zwischenzeit bei km15, hier ist auch die Wechselzone der 2er-Marathon-Staffel, 1h45 bis hierher, und es geht weiter hinab.
Judit Menz überholt mich. Dann bin ich wieder in Niedernhall unten an der gesperrten L1045 Uferstraße. Sanitäter warten auf ihren Einsatz. Boah, das ging rein. Es steigt gleich wieder an.
Drei Leute am Streckenrand applaudieren, eine Fotografin knipst uns. Im nächsten Weinberg wird gerade gearbeitet, ein schmaler Traktor fährt durch die Rebenreihen und entfernt rasselnd die Blätter. Ich laufe links, denn die Steinmauer rechts strahlt Hitze ab.
Gefälle, in Weißbach, rechts um die Kirche und dann die Büschelhofer Straße hinauf. Die hat es jetzt um etwa ¾10 schon in sich, km18. Judit nimmt solche Marathons gerne als Training für ihre Ultra-Läufe. Die sehe ich bald nicht mehr.
Dafür laufe ich auf Ralf auf, der unter der Hitze stöhnt. 6 Std Zielschluss…, das ist heute nicht sein Tag.
Endlich ein bisschen Wald und bald der letzte Höhepunkt. Junge Leute füllen mir die Flasche auf, das Cola ist schon warm. Bergablaufen will ich heute gar nicht mehr, km19, muss aber sein. Über den Gegenanstieg in den nächsten Weinberg bin ich fast froh. Aber je mehr rauf, umso mehr runter. Halbmarathon nach 2h35, da sind die richtig nennenswerten Höhenmeter schon geschafft, runter an die Uferstraße.
All diese Höhenmeter bis hierher bleiben den Halbmarathonis erspart. Hinter einem Feuerwehrauto tritt ein Schotte hervor, wie man ihn sich vorstellt. Komplett mit Kilt und Dudelsack. Er pumpt ihn auf und dudelt los – sehr schön, Applaus, Applaus! Schön flach liegt sie da in der Sonne, die Kocheruferstraße. Kein Verkehr außer mir, nur ein Rettungswagen überholt mich. Km22, endlich links rein nach Forchtenberg. Hier hatte ich gestern in einem schattigen Gastgarten den besten Flammkuchen östlich des Rheins. Dort habe ich von Axel erfahren, dass es von hier bis ins Ziel wieder Schatten gibt, aber erst ab km32, da fehlen mir noch 9km. Vor der Brücke über den Kocher ist ein VP und gleichzeitig das Ende einer Schleife, an deren Beginn ich mich gerade befinde, km23. Die Läufer, die von links unten kommen, sind fast 8km vor mir!
Ich tauche mein Schlauchtuch ins kalte Wasser, fülle meine Flasche auf, bekomme nette Worte und laufe weiter über die Brücke. Das Stadttor von Forchtenberg im Blick biege ich rechts ab.
Die leichte Steigung tut schon weh. Da und dort gibt eine Baumkrone etwas Schatten. Bestens gelaunt und noch gut in Schuss überholt mich Friederike (AK-40), dicht gefolgt von ihrem erfahrenen Betreuer, der sie etwas bremsen will. Wie sie mir vor dem Start erzählte, ist das heute ihr erster Marathon. Ja, da schafft man auch eine persönliche Bestzeit, trotz der Höhenmeter und trotz der Temperatur.
In Ernsbach geht es unter der Straße durch und über den Fluss, PowerGel + Labestelle. Hier haben sich einige Zuseher eingefunden. Wasser aufs Schlauchtuch und Iso in die Flasche, ein Stück Banane nehme ich auch, km27. Es ist jetzt beinahe High Noon und da ist nirgendwo Schatten. Der Radweg führt durch ein Kukuruzfeld, die Luft steht.
Nur gut, dass ich von Axel Behrens weiß, dass es auch wieder anders wird. Denn in dieser flirrenden Hitze würde ich nicht mehr lange durchhalten. Km29: endlich, ein paar Baumspitzen vom Kocher-Ufer schicken ihren Schatten über den Radweg. Ein kleines Ziegengehege am Ortsrand von Forchtenberg. Der Geißbock stinkt so, wie man es ihm nachsagt. Km30, rechts ab unter der Straße durch und ich tauche an jener Brücke auf, wo ich bei km23 schon einmal war. Trinken, Flasche auffüllen, trinken, Wasser über den Kopf leeren, weiter.
Diesmal durch das Stadttor hinauf, rechts, links, da treffe ich auf den jungen Stefan Stock, der gerade ein Formtief zu haben scheint. Es ist ebenfalls sein erster Marathon. „Wir sind bei km31 und haben noch zwei Stunden Zeit. Zur Not könnten wir den Rest gehen.“, muntere ich ihn auf.
Wir laufen in Forchtenberg eine Schleife und sind bei km32 wieder am Radweg, der hier sicher einmal eine Schienentrasse war. Raus aus dem Ort. Hier ist endlich der lang ersehnte Schatten. 2km laufen wir in einem grünen Tunnel, das tut gut.
Als wieder eine der vielen Durchgangskontrollen erfolgt, biegen von rechts Läufer ein, die etwa 5km vor mir sind. Sie haben bereits eine Schleife absolviert, die ich noch vor mir habe. Weißbach, hier ganz in der Nähe am anderen Ufer war km18. Weiter am Fluss. Der Bub der mir den Wasserbecher reicht, ist maximal drei Jahre jung, er macht das ganz hervorragend. Nur Wasser ist natürlich zu wenig, ich kriege auch Iso und Cola.
Nadine Häfner fragt den 4h30-Pacer, ob er die 4,5 Stunden noch hinbekommen würde? Wohl kaum, denn die 4,5 Stunden sind bereits um und sie sind bei km38. Mir dauert es zu lange und befürchte schon fast, die Abzweigung zur Schleife verpasst zu haben. Nadine aber beruhigt mich, die kommt noch. Nach dem 40km Schild geht es rauf in den Wald und da werde ich zur Abzweigung verdonnert.
Als Beweis, dass ich diese nun antrete, bekomme ich einen pinken Haargummi ums Handgelenk. Alle, die sowas nicht haben, haben die Schleife noch nicht gemacht. So einfach ist das. Endlich wieder eine Weile Schatten, dafür kein Asphalt hier. Kurz darauf sehe ich den Gerhard Wally vor mir. Er ist gerade auf Schonprogramm und geht schon seit km26, wie er sagt. Nun gut, recht viel langsamer als ich, ist er jetzt auch nicht.
Km37 bis km40 ist fast durchgängig in der Sonne, mir dreht sich fast der Magen um.
Als ich zum zweiten Mal zur Abzweigung komme, ist da niemand der pinke Haargummis verteilt oder gar deren Besitz kontrollieren würde.
Inline-Skater begegnen mir, lässig rollend, die haben ihr Rennen noch vor sich. Ein paar nicken aufmunternd. Ich komme zur Kläranlage, und schon ist es mit dem Schatten vorbei. Wolkenloser Himmel über heißem Asphalt. Solche Magenprobleme hatte ich noch nie. Ich komme zur Stadtmauer und wie befürchtet, darf ich nicht schnurstracks ins Ziel, sondern muss außen um die (eh nicht große) Altstadt herum. Ein Polizeiauto blockiert die Straße für den Querverkehr. Finisher mit Medaillen um den Hals muntern mich auf. Das letzte Stück gehört zur Startschleife, das kenne ich also bereits. Hinunter zur Schule und dann rechts zum Ziel. Über 100e Meter sind Absperrgitter aufgestellt. Ich habe nicht die ganze Fahrbahnbreite für mich, nur ein schmaler Kanal ist für uns Marathonfinisher vorgesehen. Mit so Absperrgittern habe ich keine guten Erfahrungen, da fühle ich mich nicht gut. Kurz vorm Ziel haben sich acht junge Mädchen mit weiß-rot-blauen Puscheln postiert und wuscheln mich ins Ziel. Auch ein paar Zuseher sind da.
Ich freue mich über eine schöne, silbrig glänzende Medaille in Form eines Lüfterrades.
Die kann man seinen Enkelkindern daheim zeigen. Veranstaltungen, bei denen es im Ziel peinliche Holzplattln gibt, werden mich nicht mehr sehen.
Ich setze mich auf eine Bank im Schatten. Birgit und Norbert Fender laufen ein. Seit Forchtenberg waren sie mir im Nacken. Gerhard rät mir, mich hinzulegen. Da wird es besser. Nichts Salzhaltiges weit und breit in der Ziellabe. Als ich die Sanitäter um Salz fragen will, treffe ich auf Ulli, der mir zwei Salztabletten spendiert. Die helfen sofort.
Stefan ist auch im Ziel und bedankt sich für den Zuspruch bei km31. Gern geschehen.
Bei so einem schwierigen Premierenmarathon hat man alle Chancen, beim nächsten Mal schon wieder eine persönliche Bestzeit aufzustellen.
Eine Bratwurst mit Brot etwas später sowie ein alkfreies Haller Löwenbräu, dann kehren die Lebensgeister zurück. Auf der Heimfahrt (via Nürnberg) bin ich wieder putzmunter. Da die Inline-Skater noch unterwegs sind, schickt mich die Polizei auf einen Umweg über Künzelsau. Die Heimfahrt verläuft staufrei, sie dauert keine 5 Stunden.
Fazit
Startgeld 30 - 40,- EURO, je nach Anmeldezeitpunkt
inkl. einer schönen silbernen Finishermedaille in Form eines Lüfterrades (von ebm-Papst),
XXL-Funktionsshirt, Kleiderbeutelabgabe, Dusche, Finisherurkunde-Download
Versorgungsstellen mit Wasser, Iso, Cola, Bananen;
Ziellabe: Obst, Wasser, Iso, Kuchen, Müsli (auch vegan), Erdinger alkfrei
98 Marathonfinisher (81m + 17w)
614 Marathonfinisher (463m + 151w)
Es fanden Sa + So unterschiedlichste rollende, laufende und walkende Bewerbe statt.
Marathonsieger:
1. Florian Hermann 3h 00min 54sec
2. Martin Schwab 3h 02min 02sec
3. Stefan Bender 3h 05min 21sec
weiters 76. Herbert Orlinger 5h 39min 43sec
Die schnellsten Damen:
1. Sylvia Bach 3h 36min 36sec
2. Elena Schmitt 3h 39min 58sec
3. Eve Kohler 3h 49min 31sec
Fotos: © Herbert Orlinger
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